Die Frage, wie wir in Zukunft arbeiten, beinhaltet auch die Frage, wie wir in Zukunft zusammen arbeiten werden. Wie werden sich die Beziehungen zwischen Kollegen verändern? Wie werden sich die Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern verändern? Werden sich Hierarchien am Ende ganz auflösen – zugunsten einer immer stärkeren Vernetzung und Kooperation? Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung – wird sie nachhaltigen Einfluss auf die Führungskultur haben? Und: Was davon ist Wunsch, was ist Wirklichkeit?

Die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) des Bundesarbeitsministeriums für Arbeit und Soziales fand im vergangenen Jahr heraus, dass sich 77 Prozent der Führungskräfte einen Wandel in der Führungskultur wünschen. Unter dem Titel „Forum Gute Führung“ wurden die Ergebnisse veröffentlicht: Die Führungskräfte wünschen sich zwar den Wandel weg von einer hierarchiebetonten, auf Shareholder Value und Profitmaximierung ausgerichteten Führungskultur hin zu einer Führungskultur, die auf Unterstützung, Vertrauen, Kooperation und Werteorientierung setzt. Sie sehen diesen Wandel aber noch lange nicht verwirklicht.

Sich selbst sehen sie zudem kaum in der Lage, diesen Wandel der Führungskultur proaktiv voranzutreiben. Ein Widerspruch: Schließlich sind es die Führungskräfte selbst, die die notwendigen Ressourcen und Einflussmöglichkeiten haben, um in Sachen Führungskultur etwas zu bewegen. Thomas Sattelberger einer der profiliertesten Vordenker der HR Szene hält die Studienergebnisse deshalb sogar für „schizophren“.

Das Forum Gute Führung konzentriert sich auf die Werte, auf denen Führungskulturen aufbauen und die Führungskräfte in ihrer täglichen Arbeit stützen. Die Agentur Nextpractice (http://www.nextpractice.de/nextexpertizer.html), die die Studie leitete, führte dazu 400 Tiefeninterviews mit Führungskräften verschiedener Unternehmen. Dabei wurde darauf geachtet, dass sich die Unternehmen in den Merkmalen Größe, Branche und Ort unterschieden. Bei den Führungskräften achtete man auf die sozialstrukturellen Merkmale wie Alter und Geschlecht. Die Studienergebnisse weisen also eine gute qualitative Tiefe auf. Aufgrund der großen Zahl der Interviews sind aber auch die Allgemeingültigkeit und die Vergleichbarkeit der Ergebnisse garantiert. Mathematisch identifizierte die Studie fünf Führungstypen:

  1. Eine traditionelle Führungskultur (13,50 %) basiert auf natürlicher Autorität. Mitarbeiter sind loyal und zufrieden, weil sie in ihrem Vorgesetzten ein Vorbild sehen, das Verantwortung übernimmt – gewissermaßen der Patriarch. In dieser Führungskultur zielt alles auf die langfristige Erhaltung des Bestehenden.
  2. In der profitorientierten renditemaximierenden Führungskultur (29,25%) sind Strategie, Zielemanagement und zahlengestütztes Controlling die Mittel, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu fördern. Ziel ist der maximale Profit und damit eine attraktive Rendite für die Shareholder.
  3. Die kooperative Führungskultur durch Coaching (15,50%) setzt auf Teamwork: Informationen werden transparent zur Verfügung gestellt, alles wird im Team reflektiert und besprochen. Die Nutzung von Synergiepotenzialen soll neue Ideen und die Zusammenarbeit fördern.
  4. Die Führungskultur der Netzwerkdynamik (24%) schafft Rahmenbedingungen, damit sich Mitarbeiter vernetzen können und eigeninitiativ arbeiten. Kooperation statt Hierarchie lautet das Motto – und zwar zwischen allen Akteuren im Unternehmen. Flexible, dynamische Netzwerke sind die Antwort auf die steigende Komplexität der Märkte.
  5. Die solidarisch werteorientierte Führungskultur (17,75%) motiviert die Mitarbeiter über die empfundene Sinnhaftigkeit der Aufgabe und das Leben von Werten. Führung in der werteorientierten Führungskultur ist partizipativ: Die Mitarbeiter sollen sich an Entscheidungen beteiligen. Alle Interessen sollen in Entscheidungen einfließen.

Die Zukunft der Führungskultur verorteten die befragten Führungskräfte bei den Typen 3, 4 und 5. Sich selbst allerdings sahen sie eher bei 1 und 2. Auch ihre Zukunftsprognose war eher pessimistisch: Die Chancen, den Fokus stärker auf Kooperation, Teamwork, Vernetzung und Werte zu legen schätzten sie eher gering ein. Und das, obwohl sie von einem Wandel der Führungskultur die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen abhängig machten.

Hier muss ich absolut zustimmen: Nur Unternehmen, denen es gelingt, flexible und vernetzte Prozesse zu implementieren, können sich den schnell innovierenden Märkten anpassen. Alles andere ist viel zu träge, um mit den aktuellen Entwicklungen Schritt halten zu können. Zentraler Aspekt bei all dem ist natürlich auch die digitale Vernetzung. Flexibles Arbeiten in Teams unabhängig von Zeit und Ort funktioniert nur mittels digitaler Tools. Digitalisierung ist dabei viel mehr als ein IT-Thema. Digitalisierung ist eine Lebenseinstellung: Denn Web 2.0-Technologien, die wir im Privaten schon lange und ganz selbstverständlich anwenden, werfen die althergebrachten Beziehungsmuster zwischen Führungsriege und Mitarbeitern über den Haufen.

Denn ein Netz zeichnet sich nun mal nicht durch Stufen aus – sondern durch Knotenpunkte. An diesen Knotenpunkten treffen Ideen, Impulse, Wissen, Innovationen, Mitarbeiter, Kunden und Unternehmen aufeinander und tauschen Informationen aus. Informationen, die sich nur noch schwer kontrollieren lassen. Die Essenz einer solchen werteorientierten, vernetzten und digitalen Führungskultur ist deshalb: Vertrauen. Denn Kontrolle ist zum einen nicht mehr möglich. Zum anderen ist sie auch gar nicht mehr gewünscht – weil sie Innovationen verhindert.

Wie sollte zukunftsorientierte Führungskultur aussehen?

  1. Wissen teilen. Wissen ist kein exklusives Gut mehr, Informationsvorsprünge dienen nicht mehr dem Machterhalt. Es ist eine Ressource, die sich vermehrt, wenn man sie teilt: Durch neuen Input, durch neue Perspektiven und durch Diskussionen. Der Cheffilter, der Innovationen oftmals verhindert, wird damit ausgehebelt.
  2. Vernetzung ermöglichen. Führungskräfte werden von Befehlsgebern zu Moderatoren: Sie schaffen die Rahmenbedingungen, damit sich ihre Mitarbeiter optimal untereinander, aber auch außerhalb des Unternehmens vernetzen können. Das erfordert Vertrauen und Loslassen, denn die Kontrolle der Informationsströme wird damit unmöglich. Aber es lohnt sich: Denn Netzwerkstrukturen ermöglichen Wissenstransfer. Und sie tragen dazu bei, dass sich die Öffentlichkeit ein authentisches Bild des Unternehmens machen kann – das meist viel sympathischer ist, als ein Fake-Ideal aus dem Werbeprospekt.
  3. Agile Führungsmethoden und Iteration. Entscheidungen trifft man auch in Unternehmen künftig demokratisch. Dabei wird kollektive Intelligenz eine wichtige Rolle spielen: Neuerungen kommen schnell auf den Markt, damit sie sich bewähren können. Agile Software Devices wie Scrum ermöglichen ein Projektmanagement, das mit dem Schlagwort „Always Beta“ bezeichnet wird: Jede neue Version wird sofort getestet, überarbeitet, wieder getestet und so weiter. So spart man die Kosten langer Tests – und weiß gleich, was ankommt und was nicht. Keine Angst vor Fehlern! Denn, so großväterlich es klingt: Aus Fehlern wird man klug.

Unternehmen und Führungskräfte, die proaktiv einen Wandel der Führungskultur und der Unternehmenskultur vorantreiben, können nur gewinnen: Nicht nur haben ihre Unternehmen bessere Chancen, am Markt zu bestehen. Sondern sie haben auch die Nase vorn im Wettbewerb um junge Talente: Denn für die werden gelebte Unternehmenswerte immer wichtiger, wenn es um die Wahl des Arbeitsplatzes geht. Gehalt und Statussymbole haben schon lange ausgedient. Zeit für die Manager, das nicht nur theoretisch zu verstehen – sondern auch praktisch umzusetzen.

1396 mal gelesen