Arbeit 4.0: Rahmenbedingungen für die digitale Arbeit der Zukunft“ lautete das Motto des diesjährigen Mannheimer Arbeitsrechtstages. Ein Titel, der Risiko und Chancen zugleich bot: Risiken, weil alles „Viernullige“ mittlerweile einen regelrechten Buzzword-Status erreicht hat: eine große Verbreitung, aber wenig Klarheit, welche Inhalte sich dahinter im konkreten Fall verbergen. Andererseits ist das Thema wohl derzeit das beherrschende Thema der Arbeitswelt und wird es wohl auch über längere Zeit noch bleiben.

Insoweit war es spannend, zu sehen, ob in der Veranstaltung unter der bewährten Leitung von Professor Dr. Frank Maschmann (Universität Regensburg) die verschiedenen praktischen Verästelungen eines tatsächlichen Phänomens herausgearbeitet und die drängendsten juristischen Fragen hierzu näher eingegrenzt oder gar beantwortet werden könnten.

Recruiting

Der Startvortrag von Professor Dr. Peter Fischer, Lehrstuhlinhaber für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Regensburg, befasste sich mit der Fragestellung, wie man sich arbeitspsychologische Erkenntnisse hinsichtlich der so genannten Generationen „Y“ und „Z“ nutzbar machen könnte, um Recruitingprozesse zu befördern und die Mitarbeiter langfristig zu halten.

Er wies insoweit insbesondere auf den verstärkten Fokus jüngerer Mitarbeiter auf den sinnstiftenden Gehalt der Arbeit hin – die Unternehmenstreue habe drastisch abgenommen im Vergleich zu früheren Generationen; wo ein Unternehmen nicht in der Lage sei, zu vermitteln, dass die erbrachte Tätigkeit sinnhaft sei, könnten auch gute Mitarbeiter nicht langfristig gehalten werden. Die Unternehmen müssten sich viel stärker auf diese Maßstäbe einrichten, wenn sie Recruitingkampagnen auflegen, Medien wählen, die die Kandidaten auch ansprechen (Social Media, mobile Recruitment Websites) und statt wiederholter Gehaltserhöhungen vielmehr darüber nachdenken, ihre Arbeitsorganisation zu verändern.

Im Anschluss daran erörterte Professor Fischer das geänderte Führungsverhalten (und die geänderte Erwartungshaltung an Führung) der „Generation Z“ und daraus resultierende Konflikte. Dieser Punkt wurde in der Pause zwischen den Teilnehmern lebhaft diskutiert – Generationenkonflikte sind auch einer der maßgeblichen Treiber von Konflikten zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat, insbesondere wenn es um die Einführung moderner Technologien geht, welcher der Betriebsrat schon kraft Altersstruktur ablehnend gegenübersteht und sich gar nicht damit auseinandersetzen kann oder will mangels Qualifikation und/oder Willen.

Praktische Entscheidungsformen der Arbeit 4.0

Den zweiten Diskussionsbeitrag lieferten Kai Schweppe und Philipp Merkel vom Arbeitgeberverband südwestmetall. Diese befassten sich in ihrem Vortrag zunächst mit den praktischen Erscheinungsformen der „Arbeit 4.0“ und gaben somit dem Begriff Konturen: Unter anderem stellten sie Projekte zur sicheren Mensch-Roboter-Kollaboration, Assistenzsysteme für Montage und Logistik, Modelle zur kognitiven und physischen Arbeitsentlastung, geänderte Arbeitsorganisationsformen sowie digitalunterstützten Lern- und Weiterbildungsmöglichkeiten vor.

Im Anschluss lag der Fokus der Präsentation auf der Frage, ob das deutsche Arbeitszeitrecht und die darauf aufbauenden Arbeitszeitmodelle noch zeitgemäß seien. Der klare Konsens im Raum schien zu sein, dass das deutsche Arbeitszeitrecht dringend reformbedürftig ist – allein der politische Wille zur Reform fehlt. Arbeitszeitflexibilisierung wird beim BMAS leider noch immer vielerorts als negativ konnotierte Vokabel empfunden, anstatt auch die Vorteile flexiblerer Arbeitszeit –und Ruhezeitenregelungen (zumindest einmal angepasst an den europäischen Rahmen) zu sehen.

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Foto: Mannheimer Arbeitsrechtstag

Implementierung „moderner“ Arbeitsorganisation

Hieran anschließend befassten sich Sandra Heiland und Sven Spieler in einem Beitrag mit der Implementierung von „moderner“ Arbeitsorganisation – Home Office, mobiles Arbeiten sowie Arbeiten in Matrixstrukturen – am Beispiel der Roche Diagnostics GmbH. Sie stellten die in ihrem Unternehmen mit dem Betriebsrat verhandelten Regelungen zu diesen Themenkomplexen dar und widmeten sich sodann eingehend der Errichtung einer Matrixorganisation aus rechtlicher Perspektive. Die zahllosen ungeklärten Rechtsfragen in diesem Bereich werden wohl noch eine Weile im Raum stehen bleiben; für den Moment können Arbeitgeber nur versuchen, eine möglichst risikoarme Gestaltung (durch Vermeidung von Doppelarbeitsverhältnissen) zu wählen.

Mit einer weiteren Ausformung der „Arbeitswelt 4.0“ befasste sich im Anschluss Rechtsanwalt Dietmar Heise von Luther. Er erläuterte in Grundzügen den Begriff Crowdworking, seine Abgrenzung von anderen Formen des Fremdpersonaleinsatzes sowie die maßgeblichen rechtlichen Probleme im Bereich der Vertragsgestaltung. Es entspann sich eine lebhafte Diskussion zu der Frage, ob Crowdsourcing nicht nur eine Methode zum Lohndumping sei, welche Tätigkeiten sich überhaupt für Crowdsourcing eignen und ob dieses Modell derzeit in den Unternehmen schon Realität sei (die Mehrzahl der Teilnehmer verneinte). Hinsichtlich der „ethischen“ Komponente des Crowdworking wurde der vom „Crowdsourcing Verband e.V.“ aufgestellten „Crowdsourcing Code“ vorgestellt, welcher Mindeststandards vorsieht.

Die Konsequenzen der „neuen“ Arbeitswelt für die Vergütung erläuterte im Anschluss Dr. Gabriel Wiskemann, VP Global Total Rewards bei SAP SE. Jedenfalls für SAP sei klar, dass klassische Vergütungsmodelle mit leistungsorientierten Boni ausgedient hätten. Vielmehr müssten künftige Vergütungsmodelle individuelle Weiterbildungsbudgets beinhalten, die von Vorgesetztenseite diskretionär verteilt werden könnten. Auch “on the spot”-Boni für gute und weiterführende Ideen seien denkbar und sinnvoller als “klassische” KPIs.

Viele Herausforderungen

Die Herausforderungen für das Compliance Management durch Cybercrime und Big Data beleuchtete Dr. Philipp Klarmann, Leiter Compliance und Forensik der Konzernrevision bei SAP SE. Er erläuterte anhand anschaulicher Beispiele, welche Leistungsfähigkeit softwarebasierte Prognose- und Analysemodelle schon heute besitzen, dass der technische Fortschritt jedoch einmal mehr nicht durch die rechtliche Entwicklung adäquat abbildbar ist. Kollektive Regelungen mit dem Betriebsrat böten insoweit eine gewisse Flexibilität, jedoch stoßen auch diese schnell an gesetzliche Grenzen. Der Vortrag zeigte in bemerkenswerter Art und Weise auf, welche Relevanz das Thema Cyber Security bereits heute schon hat, dass dieses jedoch gleichzeitig durch viele Unternehmen – gerade solchen, die auf Innovationen angewiesen sind – noch zu stark vernachlässigt wird.

Den Schlussvortrag hielt Frank-Martin Entzer, Group Data Privacy Officer der ABB AG. Er erläuterte den aktuellen Stand zum Thema „Beschäftigten-Datenschutz 4.0“ und die zu erwartenden Entwicklungen durch die neue EU-Datenschutzgrundverordnung. Die völlig unterschiedlichen Verständnisse datenschutzrechtlicher Normen durch Arbeitsrechtler und Datenschützer, durch den europäischen Normengeber sowie den deutschen Normenanwender (im Unternehmen) werden auch in Zukunft zu massiven Konflikten führen, da die technischen Möglichkeiten sich immer weiter potenzieren werden, die rechtlichen Rahmenbedingungen aber tendentiell administrativ noch komplexer und rechtlich restriktiver werden. Herr Entzer appellierte dringend an die Unternehmen, ihre Betriebsvereinbarungen mit Blick auf die EU-DS-GrundVO zu modernisieren, und warnte davor, sich auf das neue „US-EU Privacy Shield“ blind zu verlassen. Dieses weise nach wie vor die Probleme des Vorgängerabkommens „Safe Harbor“ auf.

Fazit: Der Arbeitsrechtstag bewegte sich rechtlich an der „cutting edge“ der rechtlichen und technischen Entwicklung. Endgültige Antworten zu erwarten, wäre deshalb zu viel verlangt. Dennoch gelang es der Veranstaltung in bemerkenswerter Weise, die rechtspolitischen und rechtspraktischen Fragen zu fokussieren, welche wohl in näherer Zukunft die HR- und Arbeitsrechtswelt bewegen werden.

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