Weil Arbeit immer komplexer wird, sind wir zunehmend auf das Wissen anderer angewiesen. Das verändert die Rolle des einzelnen, die Hierarchien und die Kultur der Zusammenarbeit: Nur wer den reinen Individualismus überwindet, eine faire Streitkultur entwickelt und von übergeordneten Zielen ausgeht, wird in der Wissensgesellschaft in einem wohlhabenden Land leben.

Gedankenarbeit als Stützpunkt

Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, die Gedankenarbeit in der gedachten Welt produktiver zu gestalten. Dabei geht es nicht mehr so sehr um  Einzelleistungen wie früher, sondern um die Produktivität von Gruppen, um deren Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Weil der Einzelne ein Fachgebiet immer weniger überblicken kann, sind wir zunehmend auf das Wissen anderer angewiesen. Statt des gehorsamen, austauschbaren Rädchens der alten Industriegesellschaft wird so jeder einzelne auf einmal zu einem unverzichtbaren Spezialisten für einen Zwischenschritt in der Produktion oder für ein Wissensgebiet. Er ist auf einmal für die ganze Firma verantwortlich – zumindest was sein Fachgebiet angeht.

Seine tatsächliche Bedeutung ist nicht mehr von einer formalen Hierarchie abhängig, sondern schwankend von der tagesaktuell geforderten Kompetenz. Der vermeintlich hierarchisch Niedrige ist der Herrscher des Fachwissens und entthront den Chef der alten Schule. Doch die neuen Führungskräfte bekommen erst dadurch Luft für ihre eigentliche Aufgabe: Je höher jetzt jemand in der formalen Hierarchie aufsteigt, umso mehr ist es seine Aufgabe, Ressourcen und Informationsfluss zu moderieren, die Menschen mit ihren Stärken und Schwächen zu analysieren und passend einzusetzen. Und viel nachzufragen: Was braucht ihr, um diese Aufgabe optimal zu lösen?

Wissensarbeit benötigt andere Hierarchien

Das verändert die Strukturen: Auf einmal müssen auch die formal Gleichrangigen ihr Verhältnis untereinander neu ordnen. Keiner kann weiterhin ein Projekt, eine Situation oder ein Fachgebiet alleine überblicken – zu komplex und zu groß ist die zu beachtende Informationsfülle geworden. Statt wie früher getrennt in verschiedenen Abteilungen zu arbeiten – Entwicklung, Produktion, Vertrieb, und einmal im Jahr zur Weihnachtsfeier hat man sich dann gesehen –, werden einzelne Fürsten der Wissenskönigreiche zu Teams zusammengewürfelt, die eine anstehende Aufgabe lösen sollen: Jemand kennt den Kunden und weiß, was der braucht; ein anderer kann mit der Maschine umgehen und der Dritte am Computer einen Prototyp entwickeln. Und diese Spezialisten sollen nun partnerschaftlich, sachlich, zielorientiert auf derselben Augenhöhe zusammenarbeiten.

Wie weit reicht die Verantwortung?

Das ist eine neue Anforderung, die nichts mit Fachwissen zu tun hat oder mit Organisationsstrukturen, sondern damit, wie weit das Verantwortungsgefühl eines Menschen reicht (auch über die eigene Kostenstelle hinaus?) und ob man ausreichend selbstbewusst ist, ohne Statussymbole und firmenöffentliche Machtbeweise auszukommen. Hinter den Preisunterschieden gleicher Produkte verschiedener Firmen verbergen sich Produktivitätsunterschiede – und das sind künftig in erster Linie Verhaltensunterschiede.

Das ist das wirklich Neue dieses neuen Kondratieffzyklus: In einer globalisierten Wirtschaft sind Kapital, Wissen, Maschinen weltweit für jede verfügbar und austauschbar. Der einzige entscheidende Standortfaktor wird die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Information umzugehen. Umgang mit Wissen ist aber immer Umgang mit anderen Menschen, die wir unterschiedlich gut kennen, unterschiedlich gerne mögen und mit denen wir unterschiedlich viele berechtigte Interessenskonflikte haben. Die nötige Teamarbeit erzeugt dabei ein vermeintliches Machtvakuum, weil nicht mehr klar zu sein scheint, wer das Sagen hat.

Destruktives Verhalten im Büro kostet das meiste Geld

Die für Informationsarbeit nötigen, flachen Organisationsstrukturen und projektbezogene Teamarbeit vervielfältigen die Schnittpunkte in den Unternehmen und damit die Gründe für Interessenskollisionen und persönliche Spannungen, die nicht nur Zeit und Geld kosten, sondern auch die Beschäftigten krank machen. Meinungsverschiedenheiten arten zu Machtkämpfen aus, die bis zur Verrentung anhalten und den Informationsfluss unterbinden. Unmengen an Energie verpuffen bei der Selbstbehauptung.

Plötzlich wird Mobbing ein Thema, innere Kündigung schädigt unsere Volkswirtschaft in der Höhe des deutschen Bundeshaushaltes, Angst kostet etwa 75 Milliarden Euro. In der Arbeitswelt der Informationsgesellschaft bricht das uralte Problem auf, dass sich Männer und Frauen wegen ihrer unterschiedlichen Verdrahtung im Kopf oft nicht verstehen, dass die Alten von dem manchmal aktuelleren Wissen der Jungen korrigiert werden, aber es dem Jungschnösel frisch von der Uni an Erfahrung mangelt und er deswegen auch nicht immer Recht hat, und dass wir keine ausreichend sachliche und faire Kultur des Umgangs miteinander haben.

Es mangelt an Verhaltensweisen,

die den Wissensfortschritt fördern, anstatt ihn zu behindern. Wer heute etwas Geniales vorschlägt, aber zu fünf Prozent irrt, den nageln wir bei den fünf Prozent fest, anstatt den guten Gedanken aufzunehmen – denn das könnte ja dessen Status erhöhen. Im Meeting signalisieren wir den anderen unterschwellig, „wehe du kritisierst mich, sonst rede ich nicht mehr mit dir“ – was natürlich höchst unproduktiv ist, aber den anderen klein hält. Wer aber aus der Deckung tritt und Fehlentwicklungen anspricht, um ein langfristig gesundes Firmenklima und eine redliche Entscheidungsbasis zu schaffen, der steht schnell alleine da. Denn bei abteilungsinternen Streitereien halten wir eher zu dem, der uns nützlicher erscheint oder zumindest weniger bedrohlich, anstatt denjenigen zu stärken, der über sein eigenes Terrain hinaus die größere Verantwortung für das Ganze übernimmt.

Der Krieg im Büro verursacht Produktivitätsverluste

Wir verschweigen Konflikte oder tragen sie schließlich frontal aus, notfalls bis zur Vernichtung des anderen, mit dem Recht des Stärkeren oder der Macht der besseren Beziehung – wer eben den Vorstand besser kennt vom sonntagnachmittäglichen Golfen. Meinungsverschiedenheiten arten zu Machtkämpfen aus, die bis zur Verrentung anhalten und den Informationsfluss unterbinden. Der Krieg im Büro verursacht Produktivitätsverluste, die jedes Jahr in die Milliarden gehen. Wer meint, daran werde sich nichts ändern, weil der Mensch eben so sei, der verkennt die formende Kraft des Marktes.

Wer Informationsarbeit nicht ausreichend effizient löst, der bekommt in Zukunft vordergründig ein „Kostenproblem“ – und wird vom Markt verschwinden. Unter diesem Veränderungsdruck bilden sich neue Verhaltensmaßstäbe heraus. Sie haben weniger mit Fachkompetenz oder Organisation zu tun, sondern damit, wie weit das Verantwortungsgefühl eines Menschen reicht und ob man ausreichend selbstbewusst ist, ohne Statussymbole und firmenöffentliche Machtbeweise auszukommen. Hinter den Preisunterschieden gleicher Produkte verschiedener Firmen verbergen sich Produktivitätsunterschiede – und das sind künftig in erster Linie Verhaltensunterschiede. Nötig sind: Transparenz statt Kungelei, Versöhnungsbereitschaft statt ewiger Fehden, Authentizität statt Blendung, Kompetenz statt Statusorientierung, Kooperationsfähigkeit statt Machtkämpfe, langfristige Orientierung statt Kurzfristigkeit, und eine Verantwortung, die über die eigene Karriere und die eigene Kostenstelle hinausgeht.

Die Welt wird besser

Wenn sich dann der aufgewirbelte Staub des Strukturwandels gelegt haben wird, werden jene Firmen übrig bleiben, die der Wirklichkeit so nahe wie möglich kommen, weil sie Informationen über alle Sensoren wahrnehmen. Um das gesamte Wissen in einer Organisation zu mobilisieren, wird sich eine dienende Führungskultur durchsetzen. Die Menschen werden schwankende Wichtigkeit nicht mehr als Beleidigung ihres Selbstwertes empfinden, ja sie werden sich gegenseitig fördern und sich über die Leistungen des anderen freuen. Sie werden Informationen nicht nach Nützlichkeit manipulieren, sondern wahrhaftig weitergeben. Sie werden Konflikte fair klären und ihre Beziehungen versöhnen.

Statt an ihrem Eigennutz werden sie sich langfristig und an den berechtigten Interessen der anderen Partner, Kunden, Lieferanten orientieren (auch weil wir die Folgen unseres Tuns langfristig überhaupt nicht überblicken können). Firmen werden in Weiterentwicklungen und in Menschen investieren und manchen Jahre Zeit geben, so zu reifen, dass sie die Firma bahnbrechend voranbringen. Blender und Trittbrettfahrer werden sich zunehmend in möglicherweise verbliebene Restreservate der Großkonzerne zurückziehen müssen. Wenn sich diese neue Kultur der Zusammenarbeit global durchgesetzt hat, wird die Konjunktur in Schwung kommen. Wird die Welt vielleicht doch immer besser?

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