Gefühle und ihr Kontext

Die Begründung für diese „steile These“ ist einfach und fast eine Banalität für das mittlerweile gut verbreitete systemische Denken: Meine Gefühle, die ich meiner Frau gegen über habe, gehören unserem Paar-Beziehungssystem. Die Gefühle, die ich beim TSV 1860 München im Fußballstadion habe, gehören wenn nicht 1860 selbst, so doch dem Fußballfandaseins-System. Gefühle, die ich bei Kunden in Beratungsgesprächen habe, gehören dem spontan entstehenden Beratungssystem. Die Gefühle meiner Kunden übrigens auch.

Insofern ist es relativ leicht nachzuvollziehen, dass die Gefühle, die im Unternehmen auftreten, dem Unternehmenssystem gehören. Dafür braucht man noch nicht mal irgendwelche Systemtheorien. Das haben unsere Ur-Großeltern auch schon irgendwie gewusst: Menschen sind vielschichtig. Sie sind verschiedentlich triggerbar und sie können in einem Kontext völlig anders agieren als in einem anderen Kontext. Und eben auch fühlen. Und sie können diese verschiedenen Gefühle, Gedanken und Handlungsweise bis zu einer bestimmten Grenze gut in einem Beziehungskontext lassen, ohne ihn einfach in einen anderen Beziehungskontext mit hinüber zu nehmen. Also so kurz wie einfach: Wir machen im Alltag sowieso ständig Unterschiede, wo wir grade sind und mit wem wir es zu tun haben. Das kann man unternehmerisch auch mal ernst nehmen.

Gefühle sind unternehmerisch hochrelevante Information

Das Spannende an der Sichtweise, dass die Gefühle der Mitarbeiter oder Mitunternehmer, wie ich sie mir angewöhnt habe zu nennen, dem jeweiligen Unternehmen gehören, ist aber weniger ihre Begründung sondern ihre Auswirkung.

M.E. verfallen wir allzu oft einer sehr naiven Sichtweise auf menschliche, i.e.: unsere Gefühle. Wir glauben, dass sie eher „innerliche“ Vorgänge wären. Psychologie eben. Entsprechend interpretieren wir Gefühlsäußerungen reflexhaft-gewohnheitsmäßig „psychologisch“, auch im Unternehmenskontext: Äußert einer unserer Kollegen – in gleich welcher Form – „Unbehagen“ oder „Gefallen“ – an gleich was -, nehmen wir an, „dass das vor allem was mit ihm zu tun hat“. Wir personalisieren also das Gefühl.

Gefühlsäußerungen im Unternehmen?

Eine solche halb-ursächliche Zuschreibung kann man als durchaus legitim ansehen. Immerhin ist moderne Psychologie kein reiner Quark. Und außerdem überschneidet sich die psychologisierende Sichtweise hier stark mit unserer Alltagsdenke und unserem Alltagssprech. Interessanter ist für Unternehmen dabei aber, was durch diese Psychologisierung von Gefühlsäußerungen ausgeblendet wird: Dass Gefühlsäußerungen in Unternehmen als Informationen über unternehmerisch hochrelevante Vorgänge angesehen werden können.

In dem Moment, in dem ich annehme, dass das Unbehagen meines Kollegen in einem bestimmten Kundengespräch „sein Unbehagen – sein Problem“ ist, habe ich die Chance meist schon vergeben, dass es sich um einen Systemeffekt handeln könnte: Dass also die allermeisten Kollegen, die dieses Gespräch mit diesem Kunden über dieses Thema geführt hätten, die gleichen oder sehr ähnliche Gefühlsempfindungen gehabt hätten.

Die im Unbehagen (oder Wohlgefühl) enthaltene unternehmerische Information wird durch ihre personelle Zuschreibung bagatellisiert und förmlich „eingekapselt“. Auf jeden Fall wird sie hochwahrscheinlich nicht: weiterkommuniziert. Kurzgesagt: Die Information geht für jegliches weiteres unternehmerisches Entscheiden verloren. Und das umso mehr, als viele „Gefühle-Habende“ (= Mitunternehmer) diese Sichtweise auf ihre eigenen Gefühle teilen. Auch sie selbst beschreiben diese Gefühle für sich oft so, dass sie mehr mit ihnen selbst als „mit der Sache“ zu tun haben. Weil sie die Psychologisierung und Bagatellisierung ihrer Empfindungen in bestimmten unternehmerischen Situationen antizipieren, äußern sie sie gar nicht mehr.

Was nehmen wir wahr und was nicht?

– Und wie wir wissen, führt fortwährendes Nicht-Äußern bestimmter, immer wieder auftretender Gefühle bei uns als Menschen dazu, dass wir diese Gefühle selbst irgendwann nicht mehr für uns wahrnehmen. Wir spalten sie ab und kapseln sie ebenfalls ein. Wenn unsere Gefühle nicht im Außen (in der Kommunikation mit Kollegen) gespiegelt werden und Resonanz erhalten, können wir sie auf Dauer nicht mehr bewusst wahrnehmen. Sind die jeweiligen Gefühle stark und anhaltend, somatisieren die meisten von uns, d.h.: das Gefühl drückt sich irgendwie unbewusst, oftmals körperlich aus. (Das ist nun Psychologie – das war’s aber nun auch schon damit).

Die Frage ist nun, wie gravierend dieser Informationsverlust für Unternehmen ist? Was entgeht ihnen dadurch, dass die meisten Unternehmen, was Gefühle angeht, „hochprofessionell“ aufgestellt sind, d.h.: dass sie Gefühlsäußerungen tabuisieren, indem sie nicht als völlig normal und schon gar nicht als unternehmerisch wertvoll angesehen werden?

Meine Einschätzung ist: Die Personalisierung und Bagatellisierung von Gefühlen im Unternehmenskontext führt dazu, dass Unternehmen vollkommen blind entscheiden und handeln.

Wie komme ich zu dieser Einschätzung?

Ich lehne mich hier an die im Kern von Marshall Rosenberg formulierte Annahme, dass Gefühle „interne“ Informationen über die Erfülltheit/Unerfülltheit menschlicher Bedürfnisse sind. Da das unternehmerische Geschehen an mehreren entscheidenden Stellen an menschlichen Bedürfnissen andockt (Kundenbedürfnisse, Mitunternehmerbedürfnisse, Investorenbedürfnisse), braucht es für gute Entscheidungen im Unternehmen genau diese Informationen. Sind sie nicht vorhanden, sind gute unternehmerische Entscheidungen schlicht und einfach unmöglich bzw. wenn, dann rein zufällig („auch ein blindes Huhn…“).

Fatal für Unternehmen ist daher ein vielerorts grassierendes falsches Verständnis von „Professionalisierung“, das sowohl unmittelbar als auch mittelbar dahin mündet, dass Mitunternehmer sich über ihre Gefühlswahrnehmungen nicht mehr austauschen.

Erschwerend kommt dabei hinzu, dass wir als Menschen eigene Gefühle, die wir über längere Zeit nicht ausdrücken und die uns nicht im Außen (von anderen Menschen) gespiegelt werden, selbst irgendwann gar nicht mehr wahrnehmen. Sie werden, wie man so schön sagt: „verdrängt“. Gehen in den Keller, verschwinden aus unserem Bewusstsein. Und werden damit zugleich unkommunizierbar. Dieses Unkommunizierbar-Werden ist nicht gar so selten auch sehr sinnvoll für denjenigen: Gefühle, die man selbst nicht mehr wahrnimmt, können einem nicht „aus Versehen mal“, in einem unkontrollierten Moment über die Lippen kommen – und dann in einem suboptimal konstruierten unternehmerischen Kontext auch keine massiven persönlichen Nachteile einbringen.

 „hochprofessionelle“ Business-Zombies

Es entstehen dann systematisch gefühlsbefreite, „hochprofessionelle“ Business-Zombies, die sich zwar über Zahlen, Maßnahmen und Prozesse sehr gut austauschen können. Die Anbindung an die Zwecke und das Beziehungsgeflecht des Unternehmens ist jedoch dann faktisch nicht mehr vorhanden. Im Grunde deswegen, weil das Unternehmen durch schlechte Organisation seine „biologische Hardware“ versaut hat.

In der Folge prozessiert das Unternehmen sinnfrei vor sich hin, hat aber jede brauchbare Umweltanbindung verloren. Diese unternehmerisch benötigte Umweltanbindung können einem Unternehmen nur die Gefühle der Mitunternehmer liefern. Eine andere Quelle gibt es nicht:  Auch „Marktforschung“ oder „Mitarbeiterbefragungen“, o.ä. versorgen ein Unternehmen mit keinerlei vergleichbare Informationen für gute unternehmerische Entscheidungen.

Eine pragmatische, eine funktionale Sichtweise

Insofern möchte ich die Sichtweise: „Gefühle der Mitarbeiter gehören dem Unternehmen“ weder als psychologische, noch als soziologische, noch als sonstwie-logische Aussage missverstanden sehen. Ich meine das rein pragmatisch: Es ist besser für ein Unternehmen, wenn es das so sieht. Es ist besser, wenn das eine weithin geteilte Ansicht aller Zusammenarbeitenden im Unternehmen ist. Denn dann läuft vieles einfach deutlich besser. Und die – durchaus schmerzhaften – Nachteile sind unternehmerisch irrelevant. Die beteiligten Menschen, die diese Nachteile betreffen, mögen im ersten Schritt irritiert und vor den Kopf gestoßen sein. Ganz überwiegend kommen sie damit recht gut klar und erleben das – spätestens nach dem Verdauen des ersten Schocks – als belebendes Element „bei der Arbeit“. Wenn nicht sogar als neue Grundlage eines als sinnhaft erlebten gemeinsamen Machens und Unternehmens.

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