Auch schon gehört? Unternehmen können demokratisch geführt und gestaltet werden. Das soll funktionieren? Liegt da nicht ein Kategorienfehler vor, wenn ein gesellschaftspolitischer Begriff auf Organisationen übertragen wird? Und überhaupt: Das ist doch ein alter Hut, gab es schon in den 1970ern und 80ern, es ist also nur aufgewärmter, längst kalter Kaffee. Hat damals schon nicht funktioniert und wird es auch heute nicht, denn MitarbeiterInnen wollen und können gar nicht mitgestalten und führen. Zeit für einen Faktencheck.

Dichtung

Was an den aktuellen Kritiken verschiedener Protagonisten auffällt: Es mangelt erstens an einem differenzierten Verständnis, was Unternehmensdemokratie überhaupt ist. Sie wird oft gleichgesetzt mit studentischer Basisdemokratie, in der alle mitbestimmen und trotz stundenlanger Diskussionen die WG Küche am Ende immer noch versifft ist; oder sie bedeutet die Wahl von Führungskräften, die sich dann populistisch den Interessen des Unternehmensvolkes anbiedern müssten und deshalb keine fürs Unternehmen nötige unpopuläre Entscheidungen treffen könnten; oder sie heißt Abschaffung von Hierarchien, was ja bekanntermaßen nicht funktionieren kann, weil sich – ausnahmsweise erwiesenermaßen – automatisch informelle Hierarchien bilden. Nichts von diesem Verständnis trifft ausnahmslos zu. Es sind bestenfalls einige wenige Ausnahmeerscheinungen.

Das Problem dabei: Die dann folgenden Argumentationen, meistens ohne empirische Belege, die über beschränkte subjektive Erfahrungshorizonte hinausreichen, gründen auf diesem verkürzten oder zum Teil falschen Verständnis des Sujets.

Zweitens kommt so sicher wie das Amen in der Kirche der eingangs bereits erwähnte Hinweis, dass das alles schon längst da gewesen wäre. Dabei verweisen die Damen und Herren auf die 1970er-80er. Allerdings stimmt das nicht. Ihre Recherchen sind nachweislich unzureichend. Vor allem aber – und das ist der springende Punkt – übersehen sie alle eine objektiv nachweisbare, fundamentale Veränderung seit dieser Zeit auf die ich im nächsten Abschnitt eingehe. Und genau die könnte einen bedeutsamen Unterschied machen, wenn wir sie zukünftig intelligent nutzen würden.

Abgesehen davon frage ich mich: Was soll mit diesem Hinweis überhaupt gesagt werden? Wann wurde doch gleich nochmal die Trennung von Denken und Handeln, mithin die Grundlage unseres „modernen“ Managements gelegt? Nun, spätestens mit Frederick Winslow Taylors Grundlagen der wissenschaftlichen Betriebsführung. Das war 1911. Seit dem organisieren wir uns immer noch so.

Drittens finden sich Aussagen über einzelne Fallbeispiele gescheiterter Unternehmensdemokratien wie Foto Porst, abgefasst in wenigen Zeilen, ohne überhaupt nur ansatzweise etwas über die Hintergründe der Demokratisierung und ihres anschließenden Scheiterns zu erfahren (Vgl. Ist Unternehmensdemokratie eine verantwortungslose Utopie). Und selbst wenn ein solcher Fall minutiös durchdekliniert worden wäre: Sind Unternehmen mit formal-fixierten Hierarchien nicht gescheitert? Wieso sollte es überhaupt ein Argument gegen Unternehmensdemokratie sein, wenn hie und da ein Unternehmen damit gegen die Wand fährt?

Ich glaube ich kann es Euch, liebe Leserinnen und Leser, ersparen, hier zum Beleg eine nicht endende Liste gescheiterter Top-Down Unternehmen aufzuführen. Bislang liegt keine Untersuchung vor, die zeigt, dass in demokratisch geführten und gestalteten Unternehmen das Risiko des Scheiterns größer ist.

Wahrheit

Ein nüchterner, nicht ideologisch aufgeladener Blick lässt das Konzept der Unternehmensdemokratie in anderem Licht erscheinen. Beginnen wir mit der Feststellung, dass demokratische Unternehmen groß en vogue wären. Ist das tatsächlich so? Wohl eher weniger. Es dürfte sich nicht einmal um einen einstelligen Prozentanteil aller zur Zeit existierenden Unternehmen handeln, eher reden wir über ein paar Promille. Die erschlagende Masse deutscher (und internationaler) Unternehmen sind wie ehedem top-down organisiert.

Der Hype ist rein virtueller – oder besser: medialer Natur. Online wie Offline Zeitschriften, Journale, Magazine und Zeitungen müssen monatlich, wöchentlich oder gar täglich neue Nachrichten veröffentlichen. Da passt es doch bestens, jetzt über das angeblich Neue zu berichten. Der Kampf der Kontrahenten gilt also diesem medialen Scheinriesen. Wie bei Michael Ende wird er immer kleiner, je näher er kommt.

Nun zum Begriffsverständnis: Ich habe für mein letztes Buch „Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten“ acht Unternehmen besucht und dort Gespräche mit verschiedenen Akteuren geführt, Geschäftsberichte studiert, Medienbeiträge untersucht und so weiter und so fort. Das Ergebnis: Es gibt nicht DIE Unternehmensdemokratie. Weder ist dabei Basisdemokratie noch die Wahl von Führungskräften ein typisches Merkmal. Zur Entlastung der KritikerInnen gebietet die Fairness: Natürlich lädt der Terminus Unternehmensdemokratie dazu ein, Wahlen als ein zentrales Prinzip gesellschaftlicher Demokratien auch bei demokratischen Organisationen anzunehmen.

Dabei wäre noch anzumerken: Das Wahlprinzip ist historisch gesehen gar nicht die zentrale Idee in der griechischen Wiege der Demokratie gewesen, sondern vielmehr das Losprinzip. So wurden drei der vier Säulen griechischer Demokratie, der Rat der 500 (Boule), das Volksgericht (Heliaea) und 600 der 700 Magistrate, per Losverfahren aus den Bürgern besetzt. Statt der Führungskräftewahlen gibt es vielmehr unterschiedliche partizipative Modelle. Damit verfängt die generalisierende Kritik an der Wahl von Führungskräften nicht. Sie bezieht sich lediglich auf ein Ausnahmemodell – und das durchaus zu Recht, wie ich bald in meinem eigenen Blog noch erläutern werde.

Bezüglich der Historizität erlaube ich mir hier nochmals klarzustellen: Demokratische Organisationen wurden schon lange vor den 1970ern thematisiert. Bereits 1897 veröffentlichte Sidney und Beatrice Webb ihr Buch „Industrial Democracy“. Dieser Ansatz wurde dann von Fritz Naphtali, einem deutschen Kaufmann, Wirtschaftsjournalisten, Gewerkschafter und späteren israelischen Finanzminister in den 1920ern in dessen Werk „Wirtschaftsdemokratie. Ihr Wesen, Weg und Ziel“ wieder aufgegriffen. Also wenn schon mit dem „Das-ist-aber-ein-alter-Hut-Argument“ kommen, dann bitte sauber recherchiert. Viel fundamentaler ist allerdings der objektive Unterschied zwischen damals und heute.

Früher war es nicht möglich, gemeinsame Entscheidungsprozesse effektiv und effizient über ganze Belegschaften hinweg zu organisieren. Heute ist das anders: „Internet, Mobile Computing, Soziale Netzwerke und Medien, Wikis, Entscheidungs- und Vorhersagemärkte ermöglichen Echtzeitkommunikation virtueller, global operierender Teams, hierarchiefreien Austausch und asynchrone sowie lokal unabhängige Entscheidungsprozesse unabhängig von der Anzahl der Entscheider. Das Neue besteht in dieser bisher nie da gewesenen Kombinationsmöglichkeit.“ (Zeuch 2017: 739)

Last not least gibt es Unternehmen, die seit mehreren Jahren bis zu über vier Dekaden erfolgreich demokratisch wirtschaften, wie ich in „Alle Macht für niemand“ gezeigt habe. Es wird Zeit für ein Umdenken. Die Demokratisierung der Arbeit ist eine ernstzunehmende Option. Die pauschale Verurteilung hat weder eine empirische noch rationale Grundlage.

Weitere Beiträge zum Thema

http://www.unternehmensdemokraten.de/waehl-den-chef-fortschritt-oder-rueckschritt/

Zeuch, A. (2016): Unternehmensdemokratie im Möchtegern-Diskurs. Blog der Unternehmensdemokraten.

Zeuch, A. (2016): Ist Unternehmensdemokratie eine verantwortungslose Utopie? Blog der Unternehmensdemokraten.

Zeuch, A. (2017): Keine digitale Transformation ohne soziale Innovation. In: Hildebrandt, A.; Landhäußer, W. (Hrsg.): CSR und Digitalisierung. Management-Reihe Corporate Social Responsibility. S. 739-751. Erscheint im Mai 2017

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