Sind wir nicht alle überflüssig? So oder so ähnlich lautet die Frage, die sich viele Beschäftigte in diesen Tagen stellen, in denen viel über Algorithmen und den Kollegen oder auch Konkurrenten Roboter in den Printmedien Deutschlands zu lesen ist. Dabei wird auf der einen Seite so getan, als ob uns die Arbeit ausgehen würde, als ob bereits heute feststehen würde, in welchem Umfang die Nachfrage nach Arbeit ganz genau zurückgehen wird, als ob wir das Konzept von »Arbeit« auch zukünf­tig immer unverändert beibehalten wollten und als ob die Digitalisierung ein Schicksal sei, dem wir »Dank« der US-­Firmen in dem Bereich schutzlos ausgesetzt seien.

Diese Sichtweise setzt passive, sich der Digitalisierung ausliefernde Menschen, einen deutschen Kulturpessi­mismus, eine planbare Zukunft der Entwicklung des Arbeitsmarkts und eine rückwärtsgewandte Weltsicht voraus, die uns in keinster Weise bei der Bewältigung der digitalen Herausforderung dienlich sind. Wir wissen nicht genau, was kommt, aber wir können es gestalten: Die Unsicherheit über den Verlauf der zukünftigen Ent­wicklung ist hoch – weil sie von politischen Rahmenset­zungen und der Zusammenarbeit der Akteure abhängt.
Damit gilt aber auch: Wir können den Verlauf der Ent­wicklung gestalten.

Aus diesem Grund hatten wir gemeinsam mit dem Mil­lennium Project1 die Ergebnisse des globalen Delphis »The Future of Work« (Delphi = interaktive und auf einen längeren Zeitraum angesetzte Umfrage) zur Zukunft der Arbeit ausgewertet. Sie zeigen, dass das Bild von der Zukunft der Arbeit vielfältiger und differenzierter ist, als uns die Medien meistens weismachen wollen.

Die Ergebnisse im Überblick

Die globale Arbeitslosigkeit könnte einerseits auf 24 Pro­zent (oder mehr) im Jahr 2050 steigen. Tun wir nichts oder nichts Grundlegendes zur Anpassung an die neuen Arbeitsrealitäten, wird sich dabei auch die soziale Schere weiter öffnen. Andererseits ist aber vielleicht auch die tradierte Sichtweise auf »Arbeit« dann nicht mehr sinnvoll. Dort, wo uns der Roboter Arbeit abneh­men kann, kann »Arbeit« auch als etwas Überflüssiges angesehen werden. Zudem fragen immer mehr Men­schen danach, was sie eigentlich bei der »Arbeit« an­treibt. Daraus kann die Tendenz zur Vermischung von »Arbeit« und »Privatleben« entstehen, die zu Konzep­ten jenseits von tradierter Arbeit führen könnte.

Vor Augen halten muss man sich stets, dass im Gegen­satz zur Einführung der Dampfmaschine dieses Mal der Entwicklungsschritt nicht einmalig, sondern expo­nentiell fortlaufend sein wird. Es wird kein »Plateau« der Entwicklung zu erwarten sein; sie wird immer schneller erfolgen. Es wird zur Ver­schmelzung von menschlicher und künstlicher Arbeits­kraft kommen. Nahezu keine Berufsgruppe ist von dieser Entwicklung ausgenommen.

Dabei setzt sich während einer Transformationsphase innerhalb der nächsten ein bis zwei Dekaden im Sinne des »digitalen Darwinismus« der bisherige Wandel der Arbeit fort, indem immer mehr Berufsgruppen und Tätigkeiten durch Automation ersetzt werden. Dann steht der Übergang in ein gänzlich neues System des Arbeitens und Wirtschaftens an, in dem auch die Sozial­systeme entsprechend anders aussehen müssen, und in dem vielleicht das Prinzip der Lohnarbeit gänzlich überholt ist.

Arbeit ist dabei bereits heute schon mobil und multi­ lokal, morgen ist sie virtuell und findet im Metaversum (dem kollektiven virtuellen Raum) statt. Arbeitgeber hinken der Entwicklung bisher hinterher. Wahrscheinlich beschleunigt sich das Tempo der Veränderung weiter, aber schon jetzt können Arbeitgeber und Arbeitsbestim­mungen nicht mit dem Wandel mithalten.

Mit neuen Berufsbildern entsteht neue Arbeit

In den Sektoren Freizeit, Erholung und Gesundheit, in technologienahen Feldern und mit neuen Berufsbildern entsteht neue Arbeit. Es bilden sich Arbeits­bereiche und Berufe heraus, die geprägt sind von urei­genen menschlichen Fähigkeiten wie Empathie oder Kreativität (beispielsweise Kreativitäts-­Coach, Empathie­-Interventionist, Bildungs-­Portfolio-­Optimierer, Extrem­-Genetiker / Syn-­Biologe, Übersetzer zwischen Mensch und Maschine sowie zwischen Maschine und Mensch, virtueller Team­-Assistent, Ethik­-Algorithmiker).

Einzelne Bildungssuchende gehen voran, während das Bildungssystem überfordert ist, obgleich es sich aber revolutionieren und etwa in die Richtung selbst gesteu­erter Bildungsportfolios entwickeln müsste. Weiterbil­dung und Bildung halten mit dem raschen technologi­schen Wandel nicht mehr Schritt. Es scheint am Ende, als müssten wir alle Programmieren lernen (oder zumin­dest ein tiefes technologisches Grundverständnis ent­wickeln), um die Algorithmen optimal nutzen zu können.

Globale Megatrends (Globalisierung, Demografie, Klima­wandel) lassen in ihrer Wechselwirkung mit der Digita­lisierung nationale Lösungen ins Leere laufen. Rein natio­nale oder regionale Ansätze und Perspektiven greifen zu kurz, weil z.B. Wissensarbeit bald nahezu gänzlich ortsungebunden ausgeübt werden kann. Nationalstaatliche Räume und Regularien werden den Menschen schon in naher Zukunft zu beschränkt vorkommen.

Was können wir tun?

Die Experten geben auf diese Frage klare Antworten:

»Wir müssen den Menschen beibringen, was sie wirklich brauchen werden: kritisches Denken, grundlegende Technologiekompetenz, Datenanalyse, Lernfähigkeit, selbstständiges Arbeiten und unternehmerische Kompetenzen.« Es stellt sich dabei aber natürlich die Frage, in welcher Weise das Bildungssystem oder auch die Entscheider per se fähig sind, auf diese Herausforde­rungen kurzfristig und adäquat zu reagieren. Denn, so die Experten: »Wir entwickeln gerade eine zweite intelligente Spezies (…), mit der wir Menschen nicht mithalten können werden, denn ihre Fähigkeiten werden unsere Fähigkeiten weit übertreffen, und das bei deutlich geringeren (Arbeits-)Kosten. Dann wird irgendwann auch Bildung irrelevant.«

Vielleicht muss gar keiner mehr arbeiten: Nach einer Transformationsphase, in der es einen technologischen traditionell­-nationalstaatlichen Wettlauf geben wird, in dem einige Länder Wettbewerbsvorteile durch die Förderung von Mensch-­Maschine-­Schnittstellen und Human Augmentation suchen werden, werden sowie­ so neue Wirtschafts­ und Sozialsysteme notwendig. Deshalb sprechen sich 60 Prozent der Experten für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus.

Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass Sharing Economy, genossenschaftliche Produktions­ und Kon­sumweisen, Partizipation, Demokratisierung und Dezen­tralisierung eine neue Blüte erleben werden, da dies gleichzeitig Grundprinzipien der Digitalisierung sind, die durch Plattformdenken besser als jemals zuvor umge­ setzt werden können. Digitalisierung und Nachhaltig­keit gehen damit Hand in Hand und eröffnen eine span­nende Zukunft.

Fangen Sie bei sich an

Digitalisierung und Fragen der Unternehmens- und Entscheidungskultur sind untrennbar miteinander verbunden. Man darf einerseits nicht versuchen, die Unternehmenskultur dadurch zu umgehen, dass man sich nur und zu sehr auf die Einführung sozialer Tools (Social Intranet) fokussiert. Andererseits haben aber digitale Tools durchaus auch soziale Implikationen (Kollaborationswerkzeuge offenbaren beispielsweise sehr schnell die ProduzentInnen »Heißer-Luft-Blasen«).

Die Liste der (notwendigen und aber auch aus der Digitalisierung resultierenden) Änderungen in der Unternehmenskultur ist durchaus übersichtlich:

  • Kollaboration belohnen
  • Empathiefähige Menschen statt »Apparatschiks« belohnen
  • Zugänglichkeit über alle Ebenen hinweg vorleben
  • Vergessen Sie Hierarchien: Gute Ideen garantieren das Überleben
  • Wertschätzung von Kompetenz; ansonsten externe Suche nach Wertschätzung
  • Fluides Wissensmanagement – digitale Freiheit gewähren
  • Echten Dialog führen, statt Vorstandsweisheiten verkünden
  • Kritik als Chance begreifen
  • Fähigkeit zur Transparenz als eine Stärke ansehen
  • Alle Produkte, Dienste, Rollen und Prozesse besitzen Beta-Status, d. h. sie befinden sich im ständigen Wandel, ohne eine endgültige Ausgestaltung zu erhalten

Begehen Sie dabei nicht den Fehler, »Technisierung« mit »Digitalisierung« gleichzusetzen. Technisierung bedingt die lineare Effizienzverbesserung eines Prozesses, Digitalisierung hinterfragt den Prozess an sich. Um das Disruptive zu verstehen, reicht es nicht, seinen Assistenten eine PowerPoint-Präsentation zusammenstellen zu lassen, ins Silicon Valley zu fah- ren oder ein Buch zu schreiben. Sie selbst müssen das Digitale (vor)leben. Fangen Sie bei sich selbst an; lassen Sie Plattformen und nicht die Assistenten für sich filtern, lassen Sie Bots für sich arbeiten, kommunizieren Sie sehr viel stärker nur noch digital.

Nur dann bekommen Sie ein Gefühl dafür, was oder wer für Ihre Arbeit und Ihr Unternehmen wirklich relevant ist. Diese Relevanz müssen Sie erspüren, um auch morgen noch am Markt existieren zu können.

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