Betriebe und Politik vor großen Herausforderungen

Kaum war das #TVDuell in der letzten Woche beendet, meldeten sich politische und mediale Kritiker wie auch BürgerInnen in den sozialen Medien zu Wort, die das Thema der digitalen Transformation (aka #Digitalisierung) und ihre Auswirkungen auf die Menschen, die Gesellschaft, die Politik und nicht zuletzt auch die Betriebe nicht ausreichend gewürdigt sahen.

Damit konnte erneut ein Phänomen beobachtet werden, das immer mehr droht, zu einem Problem für dieses Land zu werden: Obgleich die Digitalisierung immense Auswirkungen auf die Beschäftigten und die KMUs in Deutschland haben wird, findet sich dieses so wichtige Thema meist nur als Exoten-Thema in den politischen Diskursen wieder.

Dabei haben Megatrends wie die Globalisierung, die Digitalisierung und der demografische Wandel – wie wir alle tagtäglich in den TV- und den Online-Medien in nahezu Echtzeit erleben können – schon jetzt nachhaltig Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Insbesondere die Digitalisierung hat – wie aber auch die Demografie – unmittelbare und gravierende Auswirkungen auf die betriebliche Arbeitswelt.

Große Unsicherheitspotenziale

Unabhängig von den konkreten mittel- bis langfristigen Beschäftigungseffekten, über die derzeit noch erhebliche Unsicherheit herrscht, werden die digitalen Geschäfts- und Produktionsmodelle die Art, wie Arbeit in den Betrieben organisiert wird, grundlegend verändern. Hohe Veränderungsdynamiken stellen neue Anforderungen an eine flexible Arbeitsweise und schlagen unmittelbar auf die Arbeitsbedingungen der Menschen im Betrieb durch.

In der Art und Weise, wie Unternehmen diese digitale Transformation im Sinne des Betriebs und der Beschäftigten gestalten, wird sich entscheiden, was gute Arbeit im digitalen Zeitalter ausmacht. Herausforderungen sind dabei speziell:

  • die Entgrenzung der Arbeit durch die Flexibilisierung von Arbeitszeit- und Arbeitsort
  • die Entwertung von formalen Qualifikationen durch sich rasch ändernde Anforderungsprofile
  • das Verschwimmen der Unternehmensgrenzen durch den Einsatz von Crowdworking
  • die Ablösung hierarchiegeprägter Arbeitsorgansisation durch agile Formen der Zusammenarbeit und
  • die Transparenz des Arbeitsverhaltens der Beschäftigten durch digitale Arbeitsprozesse.

In der Summe stehen sich dabei jeweils das Interesse des Arbeitgebers an einem atmenden und anpassungsfähigen Betrieb auf der einen und der Wunsch der Beschäftigten nach einer verlässlichen Erwerbstätigkeit auf der anderen Seite in einem Spannungsfeld gegenüber.

Dieses Spannungsfeld gilt es, mitarbeiter- und teilhabeorientiert auszubalancieren. Diese Aufgabe liegt in erster Linie in der sozialen Verantwortung der Unternehmen. Sind die Unternehmen bereit dazu? Sind sie fähig, sich auf die Art der Beteiligung einzulassen? Sind Führungskräfte willens, Hierarchien in Frage zu stellen?

Weiterentwicklung der Konzepte

Grundsätzlich muss die Frage gestellt werden, was denn die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen unter dem Aspekt der Digitalisierung ausmacht. Hierzu müssen die bisherigen Konzepte einer Corporate Social Responsibility zu einer Corporate Digital Responsibility weiterentwickelt werden.

Die digitale Arbeitswelt wird die soziale Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern auf noch nicht absehbare Weise herausfordern. Der Wegfall von Arbeitsplätzen durch die Automatisierung, die Qualifizierung der Beschäftigten für neue Berufsbilder, neue flexible Arbeitsarrangements, die auch über die Grenzen des Betriebes hinausgehen sowie der Umgang mit Mitarbeiterdaten sind einige Aspekte, die neu verhandelt und bestimmt werden müssen.

Unternehmen könnten bei der Gestaltung der digitalen Arbeitswelt grundsätzlich zu wertvollen Experimentierräumen werden, wenn es denn zugelassen wird.

Betriebliche Lösungen, die zunächst probeweise eingeführt, angepasst und optimiert werden, könnten später branchenweit oder gesamtwirtschaftlich von den Sozialpartnern oder dem Gesetzgeber aufgegriffen werden.

Betriebliche Transformation in der Digitalisierung

Aus der Vielzahl von Betrieben, die wir in den letzten Jahren analysiert haben, lassen sich schon jetzt einige zentrale Learnings ableiten:

  • die technologischen Veränderungen in den Betrieben erfordern eine drastische Veränderung der Arbeitskultur (eine technologische Transformation allein reicht nicht),
  • in den Unternehmen muss – unabhängig von der Stellung in der internen Hierarchie – eine hohe Veränderungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit etabliert werden,
  • das traditionelle Projektmanagement in digitalen Arbeitsabläufen wird zunehmend und branchenunabhängig abgelöst durch agile Formen des Arbeitens,
  • viele rechtliche Rahmenbedingungen sind nicht mehr passgenau in Zeiten der Digitalisierung,
  • die Einbindung der Arbeitnehmer in die Transformationsprozesse ist eine zentrale Erfolgsvoraussetzung.

Aus diesem Grund hat die Bertelsmann Stiftung nun ein Projekt unter dem Titel „Betriebliche Transformation in der Digitalisierung“ auf den Weg gebracht, das sich in den nächsten Jahren intensiv mit diesen Herausforderungen beschäftigen wird.

Vereinbarkeit 4.0

Auf Ebene der Beschäftigten wie auch der Führungskräfte ist es essenziell, neue „Rollenmodelle“ zu identifizieren, die zeigen, wie die digitale Transformation gelebt werden kann. Die Ableitung konkreter Handlungsempfehlungen wird sich in unserem Projekt auf die systematische Auswertung guter Unternehmenspraxis in diesem Feld stützen. Dabei ist unser Fokus auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen gerichtet.

Auf der einen Seite gilt es, Mitarbeiter vor Überforderung durch eine Entgrenzung der Arbeit zu schützen, auf der anderen Seite, die Chancen eines selbstbestimmten Arbeitslebens durch individuelle Zeit- und Ortssouveränität insbesondere im Hinblick auf eine neue Qualität der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben („Vereinbarkeit 4.0“) zu wahren.

Digitalisierung bringt eben durch die betriebliche Anforderung der Flexibilisierung der Arbeit in Zeit und Ort die Gefahr der entgrenzten Arbeit für die Arbeitnehmer mit sich. Die Arbeitnehmer wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben – angepasst an die jeweiligen Lebensphasen – und eine höhere Selbstbestimmung in der Arbeitsorganisation, die durch digitales Arbeiten erst ermöglicht wird.

In unseren vorherigen Projekten hat sich interessanter Weise gezeigt, dass Betriebe, die bisher schon ihren Mitarbeitern Vereinbarkeit ermöglicht haben, die besten Startbedingungen für die anstehende Transformation der betrieblichen Arbeitswelt besitzen. Denn die wesentlichen Elemente einer digitalen Arbeitskultur – Transparenz, Kommunikationsfähigkeit, Vertrauen, Teamfähigkeit, mobiles Arbeiten – konnten bereits in der Vergangenheit durch Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit eingeübt werden.

Transformation von Arbeitskultur und Arbeitsorganisation

Nicht Hierarchien garantieren ein betriebliches Überleben sondern die Umsetzung der besten Ideen. Wie kommen aber die besten Ideen der „internen Crowd“ an die innerbetrieblichen Entscheider?

Traditionelles Projektmanagement und hierarchische Steuerungslogiken funktionieren aber zum Teil auch nicht mehr als Antwort auf Kunden und Märkte, die durch immer schnellere Kommunikations- und Informationswege beständig veränderte Anforderungen an Unternehmen richten.

Außerdem werden bisher schon existierende implizite Divergenzen zwischen den Anforderungen einer modernen Arbeitsorganisation und den geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen selten offen angesprochen. Es etabliert sich eine Schatten-IT und ein arbeitsrechtlicher Graubereich, den es gilt offen zu legen, damit auf politischer Ebene eine Anpassung im Interesse aller Beschäftigten und der KMUs erreicht werden kann.

Durch neue Arbeitsformen mit Freelancern wie beispielsweise Crowd- und Coworking weichen auch die Unternehmensgrenzen nach außen immer mehr auf. Somit muss auch das Verhältnis dieser Freelancer (Crowdworker) und Teilzeit-Selbständigen zu den Unternehmen neu austariert werden. Die geplante Gesetzgebung der Bundesregierung in diesem Politikfeld stellt diese Bindung an die Unternehmen in den Fokus, berücksichtigt bisher aber kaum die hybride Art dieses Arbeitens.

Bezüglich der betrieblichen Transformation der Arbeitsorganisation konzentrieren sich KMUs aber bei all diesen Herausforderungen für die Arbeitskultur- und Arbeitsorganisation allzu häufig fataler Weise, so zeigt es auch eine demnächst erscheinende Meta-Studie unseres Projekts, bei der Transformation vornehmlich nur auf technische Aspekte.

Nächste Schritte

Wir werden uns in unserem Projekt (Laufzeit bis Ende 2020), das maßgeblicher Teil eines Themenschirms „Zukunft der Arbeit“ der Bertelsmann Stiftung sein wird, daher auf die Aspekt der Arbeitskultur, der Arbeitsorganisation und der Vereinbarkeit (4.0) fokussieren.

Es wird das Ziel sein, mit entsprechenden Befragungen empirische Evidenz zu der Ausgangslage der Betriebe und der Beschäftigten (und der in neuen Erwerbsformen Tätigen) herzustellen, mit Fallstudien gute Beispiele betrieblicher und partizipativer Transformation zu identifizieren und damit eine Idee dazu zu entwickeln, wie auf betrieblicher Ebene die digitale Transformation unterstützt werden kann.

Der momentan stattfindende Bundestagswahlkampf zeigt mehr als deutlich, dass dieses Thema noch nicht in den Köpfen vieler EntscheiderInnen angekommen ist, während alltäglich Freelancer und Crowdworker um die Existenz kämpfen müssen, während den Beschäftigten in den Betrieben jeden Tag eine Anpassung und Weiterentwicklung ihrer Tätigkeiten abverlangt wird und während Geschäftsführung mit defizitärer digitaler Infrastruktur und der Plattformökonomie zu kämpfen haben.

Wir werden hierfür mit etablierten wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen, mit interessierten Medien, mit politischen und wirtschaftlichen Entscheidern  zusammenarbeiten. Wir sind aber auch offen für viele weitere Kooperationen und Forschungsvorhaben, wenn sie das o.g. Ziel verfolgen.

Einfach kurz melden.

 

 

3759 mal gelesen