Was haben Hobbits, Hooligans und Vulkanier mit New Work zu tun? Wer glaubt, dies sei eine rhetorische Frage, fehlt. Sie ist ernst gemeint. Wer glaubt, die drei reichlich unterschiedlichen Gruppen hätten nichts mit New Work zu tun, täuscht sich ebenfalls.

Die verbindende Klammer ist das äußerst anregende Buch „Gegen Demokratie“ des US Amerikanischen Professoren Jason Brennan aus Washington, auf Deutsch 2017 erschienen. Brennan ist keineswegs demokratiefeindlich, ihm liegen Werte wie Gerechtigkeit am Herzen. Er schreibt sogar ausdrücklich, dass Demokratie bislang das beste politische Instrument war (er verfolgt einen instrumentellen Demokratiebegriff), um unsere „westlichen Werte“ zur verwirklichen.

Vollkommen zu Recht stellt er aber auch fest, dass wir nicht wissen, ob das nicht noch besser geht, solange wir es nicht probiert haben. Denn wir haben ein ziemlich offensichtliches Problem mit der real existierenden Demokratie, von AfD über Brexit und Orban bis hin zu Trump. Rechtsgerichteter Populismus wird zum globalen, transkulturellen Massenphänomen.

Der Kern dieses Problems besteht für Brennan in der mangelnden Kompetenz der Wähler, ähnlich wie das schon Joseph Schumpeter in „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ äußerte (1952). Ich stimme ihm keineswegs darin zu, dass dies das größte Problem ist. Ein anderes könnte im Wahlverfahren an sich liegen, wie es David van Reybrouck in seinem ebenso lesenswerten Buch „Gegen Wahlen“ durchdekliniert hat. Oder in einer völlig überholten Parteienlandschaft und -logik (wie es uns die letzten Monate fast täglich vor Augen geführt wird).

Gesellschaftliche Herausforderungen

Aber sicher ist eines: Ja, die Kompetenz vieler Wähler hinsichtlich komplexer gesellschaftlicher Probleme ist eher dürftig. Wer auch nur halbwegs selbst-kritikfähig ist, muss sich eingestehen: Es gibt gesellschaftliche Herausforderungen, von deren Ursachen und Mechanismen ich keine Ahnung habe.

Und genau hier kommen Hobbits, Hooligans und Vulkanier ins Spiel. Sie sind die holzschnittartige, aber durchaus passende Typologie, die Brennan zu Beginn seines Buches entwirft:

  • Hobbits haben nicht das geringste Interesse an Politik. Sie wollen ihr Pfeifchen rauchen, gemütlich im Vorgarten sitzen, ab und an mit Freunden feiern. Das wars. Die großen Themen der politischen Bühne lassen sie kalt.
  • Ganz anders die Hooligans: Sie haben eine klare politische Meinung und sind überaus engagiert. Dumm nur, dass alleine ihre Meinung die einzig wahre ist. Solltest Du anderer Meinung sein, gibts ein paar aufs Maul. Außerdem werden nur die Informationen aufgenommen, die exakt in das bestehende Welt- und Menschenbild passen. Der Rest sind propagandistische Fake News, wobei der durchschnittliche Hooligan das wohl kaum so akademisch formulieren würde.
  • Last not least gibt es Vulkanier. Sie sind die idealen Wähler. Sie sind ebenso interessiert wie neugierig. Und vor allem jederzeit bereit, bessere Argumente und falsifizierende Fakten zu respektieren und infolgedessen die Meinung zu ändern. Sie fühlen sich durch andere Sichtweisen nicht bedroht, sondern sind allzeit in der Lage und Willens, andere Perspektiven zum Wohle aller und zur gemeinsamen Lösungsentwicklung anzuhören und gegebenenfalls zu integrieren.

Jetzt wird der Zusammenhang wohl deutlicher

Erstens lässt sich diese Typologie auch auf Mitarbeitenden in Organisationen übertragen. Zweitens – noch näher dran – finden im Zusammenhang mit Arbeiten 4.0, Neuer Arbeit, Selbstorganisation, Unternehmensdemokratie etc. auch Führungskräftewahlen statt. Und schwupp: Da ist es, das Kompetenzproblem der Wähler. Drittens argumentiere nicht nur ich, dass unsere halbierte Demokratie erklärungsbedürftig ist.

Warum wollen die meisten von uns in einer Demokratie leben und nicht in einer Diktatur, während unsere Arbeitswelt weitgehend nach Command-and-Control Vorgehen gestaltet und gesteuert wird? Sprich: Wer mehr Partizipation in der Arbeitswelt will, stellt automatisch eine Verbindung zur Politik her. Denn dort haben wir alle qua Staatsbürgerschaft Rechte der Mitbestimmung, Partizipation und mehr, die wir im Kontext der Arbeit so nicht haben.

Bei einigen meiner Vorträge rund um Unternehmensdemokratie wurde mir eine Kategorienverwechslung unterstellt. Ich würde eine politische Kategorie (Demokratie) auf eine wirtschaftliche Entität übertragen. Wow. Abgesehen davon, dass ich den Terminus Unternehmensdemokratie zwar definiert aber leider nicht erfunden habe, fällt es mir schwer, ernsthaft zu glauben, dass Wirtschaft nicht immer auch politisch ist.

Nicht im Sinne von Parteienpolitik, sondern in des Wortes Πολιτικά (politiká) ursprünglicher Bedeutung: Dinge, die die Stadt oder das Gemeinwesen betreffen. Zudem, so ist mir vage zu Ohren gekommen, soll es Mikropolitik in Organisationen geben (hört, hört): Schach- und Winkelzüge, um eine bestimmte Stelle zu ergattern und dann auf dem Stuhl auch sitzenzubleiben, während bereits die nächsten dran sägen.

Letztlich sind Gemeinden soziale Systeme

Kategorienverwechslung? Kann man und frau herbeiargumentieren, denn natürlich gibt es unwiderlegbare Unterschiede: In einen Staat werde ich ungefragt hineingeboren während ich jegliche Zugehörigkeit zu egal welchem Arbeitgeber immer selber aktiv suchen und eingehen muss. Außerdem gehört der Staat – zumindest im offiziellen Narrativ – uns allen. Wir sind der Staat (mal locker und politikwissenschaftlich unscharf formuliert).

Das gilt wohl kaum für Unternehmen in der aktuellen Rechtslage. Dort führt dann das Eigentumsrecht automatisch zu einem (Mit)Gestaltungsrecht, während umgekehrt diejenigen, die nicht Eigentümer des Unternehmens sind, keinen Anspruch auf unternehmerische Entscheidungen haben. Das Entscheidende bei alldem: Was jetzt so ist, muss nicht so bleiben.

Aus all diesen Gründen ist es aus meiner Sicht dringend angezeigt, die Zukunft der Arbeit immer auch als politisches Unterfangen zu verstehen. Eine praktische Folge daraus besteht in der Integration von Politik in Veranstaltungen zu diesem Thema. Wir können das eine oder andere Unternehmen erfolgreich transformieren, aber wir werden nicht die Arbeitswelt insgesamt nachhaltig demokratischer, partizipativer und agiler machen, wenn wir Politik aus dieser gewaltigen Transformation außen vor lassen. Scheinbar trivial, aber wenn ich mir die meisten Veranstaltungen zu diesem Sujet ansehe, wundere ich mich immer wieder über die erstaunliche Reduktion auf Wirtschaft. In diesem Sinne: Lasst uns integrativer werden.

(Un)Konferenz Neue Konzepte für Neue Arbeit. Fokus 2018: Die Angst vor der Freiheit.

Keynotes: Jason Brennan (Washington), Shelley Sacks (Oxford), Jessica Wigant (Frankfurt).

Workshops: Julia Culen/Christian Mayhofer (Wien), Dominik Berger/Volker Visotschnig (Graz), Andreas Schiel (Düsseldorf), Stephanie Borgert (Münster)

Weitere Beiträge zum Thema

Brennan, J. (2017): Gegen Demokratie. Warum wir die Politik nicht den Unvernünftigen überlassen dürfen. Ullstein

van Reybrouck, D. (2017): Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist. Wallstein

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