Werte und Profit sind für ein Unternehmen kein Widerspruch, sagt Thomas Voigt, der Kommunikationschef der Otto Group. Ein Gespräch darüber, wie man als Konzern seine Werte bestimmt und vor allem auch lebt – und was Fridays for Future damit zu tun hat.

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Alle reden über Brand Values und Brand Purpose. Und die Otto Group?

Wir haben uns der Nachhaltigkeit verpflichtet, dahinter stehen für uns Werte wie Freiheit und Verantwortung. Das sind ja sehr klassische Grundwerte. Wir haben uns die Frage gestellt, ob die sich in der digitalen Welt ändern müssen. Unsere Erkenntnis war aber, dass diese Grundwerte noch immer sehr wichtig sind – und in Zukunft sogar noch wichtiger werden.

Wie seid ihr auf diese Werte gekommen?

Wir haben 2015 den sogenannten „Kulturwandel 4.0“ ausgerufen. Damals waren wir eigentlich schon recht weit: OTTO machte 97 Prozent des Umsatzes mit dem Onlinehandel – und wir fanden uns ziemlich toll. Trotzdem mussten wir feststellen, dass das nicht reicht. Wir haben also als Ausgangspunkt in der Diskussion nicht nur gefragt: Wohin wollen wir mit der Otto Group? Sondern auch: Wofür stehen wir? Daraus ist dann ein Leitbildprozess entstanden, bei dem wir sehr viele Menschen miteinbezogen haben.

Wie genau sieht dieser Prozess aus?

Früher hat man so einen Purpose ja einfach top down bestimmt. Der Vorstand will Werte definieren, dafür holt man eine renommierte Unternehmensberatung ins Haus, die das schon für 98.000 andere Konzerne gemacht hat. Das Ergebnis wird dann bei einem Event verkündet, es gibt etwas zu essen und zu trinken und danach sagen alle: Wunderbar, das war schön, jetzt gehen wir wieder arbeiten. Aber diese externe Art von Werteentwicklung hat keinen Impact. Wir wollten in das Unternehmen hineinhören.

Diesmal habt ihr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragt?

Ja, zum Teil digital, zum Teil einfach auf Postkarten. So haben wir über 4000 Feedbacks gesammelt und dann mit unseren Kolleginnen und Kollegen verdichtet. Am Ende legte der Vorstand – mit etwas professioneller Hilfe – die genaue Formulierung fest. Das Interesse am Ergebnis war dank dieser Methode viel größer als mit dem alten Verfahren. Heraus kamen eben unsere Grundwerte: Freiheit im Unternehmen und Verantwortung für Unternehmen und Gesellschaft. Schon 1986 sagte Dr. Michael Otto, damals Vorstandsvorsitzender: „Umweltschutz ist ein Unternehmensziel.“ Das ist auch bei vielen Mitarbeitenden tief verankert. Wir wollen mehr als nur Geschäft machen.

Wie werden die Werte nach innen vermittelt?

Ich glaube, Werte zu vermitteln ist schon mal ein schwieriger Begriff. Es geht darum, Werte vorzuleben. Das beginnt damit, dass Führungskräfte ihre Insignien der Macht abbauen: den dicken Schreibtisch, die dicke Tür – an die angeblich jeder klopfen kann, was aber niemand tut –, den Firmen-SUV. Das sind alles Abstandshalter. Erst wenn man sie einreißt, kann man auf Augenhöhe kommunizieren.

Wie geht ihr damit um, wenn diese Werte den Konzerngewinn gefährden?

Ich finde nicht, dass Profitabilität, also die wirtschaftliche Zielsetzung, der gesellschaftlichen Zielsetzung zwangsweise gegenübersteht. Wir haben Verantwortung für die Umwelt und Soziales immer gelebt und sind damit sehr gut gefahren. Wir sind einer von wenigen Versandhändlern weltweit, die überlebt haben. Ich glaube, in Zukunft könnten Werte möglicherweise die Eintrittskarte zum Kunden werden, die Voraussetzung, dass die Marke überhaupt funktioniert.

Konsumieren wir nicht grundsätzlich zu viel?

Das stimmt. Wir können uns als Wirtschaftsunternehmen nicht ausklinken und unsere Kunden bei jeder Bestellung fragen: „Braucht ihr das wirklich? Ihr solltet eigentlich weniger konsumieren.“ Wir leben nun mal davon, dass Menschen bei uns einkaufen. Aber wir glauben, dass wir ein anderes Konsumbewusstsein schaffen können. Wir bemühen uns, den Fast Fashion-Markt nicht mehr zu bedienen. Stattdessen setzen wir auf die Werte der Marken, die wir anbieten. Alle Eigenproduktionen, die wir bei OTTO verkaufen, sollen ab diesem Jahr aus nachhaltigem Baumwollanbau kommen. Auch bei Möbeln achten wir auf zertifiziertes Holz. Über diese Label kann man natürlich auch diskutieren, aber wir zeigen damit zumindest ein sehr konkretes Bemühen, das sich auch messen lässt.

Wie zeigen sich eure Werte sonst noch im Tagesgeschäft?

Erstens setzen wir messbare Ziele, wir wollten zum Beispiel den CO2-Fußabdruck der Otto Group im Jahr 2020 im Vergleich zum Jahr 2006 halbieren. Und im Gegensatz zur Bundesregierung halten wir unsere Klimaziele ein. Zweitens wollen wir unsere Werte auch nach außen tragen. Zum Beispiel mit großen internationalen Projekten wie Cotton made in Africa, um nachhaltige Baumwollproduktion zu ermöglichen. So zieht man dann auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, die diese Werte teilen.

Welchen Einfluss haben die aktuellen Klimademonstrationen auf euch?

Als die Demonstrationen angefangen haben, haben wir diskutiert, ob wir auch als Otto Group mitmarschieren sollen. Aber wir haben das abgelehnt. Denn das sind junge Menschen, die mit ihrem Protest Erwachsene ansprechen und sehr wahrscheinlich auch große Wirtschaftsunternehmen wie die Otto Group. Sehr viele Kolleginnen und Kollegen sind mitmarschiert, als Privatpersonen, und wir unterstützen die Ziele von Fridays for Future. Aber unsere Aufgabe als Unternehmen ist es eher, zuzuhören und uns zu überlegen, was wir besser machen können. Und das ist richtig harte Arbeit.

Wie sieht die Otto Group der Zukunft aus?

Von außen hören wir oft: „Wow, ihr seid schon so weit.“ Wir glauben, dass wir eher am Anfang stehen. Diese Transformationsprozesse dauern sehr lange – und wir haben bislang nur die Prozesse angefasst, nicht die dahinterliegenden Strukturen wie Hierarchieebenen. In einigen Bereichen versuchen wir gerade, Führung neu zu definieren. Da gibt es dann einen Project Lead, einen People Lead und einen Process Lead. Das sind alles Experimente, die nicht gleich für das ganze Unternehmen gelten müssen. In jedem Fall lernen wir daraus und ich bin sicher, dass die Otto Group in fünf Jahren auch strukturell komplett anders aussehen wird als heute. Das ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, unsere Performance zu verbessern. Denn wir wollen weiterhin einer der großen Angreifer im digitalen Bereich sein.

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